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Ökonomien digitaler Autorschaft

Organisiert von Cornelia Ortlieb in Zusammenarbeit mit Felix Bouché, Nina Tolksdorf und Paul Wolff.

Mit Beiträgen von Sarah Berger, Tobias Fuchs, Mara Genschel, Joshua Groß, Renate Ortlieb, Gesche Piening und Steffen Richter.

Auch abseits von pandemiebedingten Einschränkungen ist die digitale Produktion von 'Werken' eine spezifische Form der Autorschaft mit eigenen Ökonomien, Praktiken und Effekten. Dazu gehört die oftmals auch als 'Währung' bezeichnende Aufmerksamkeit als legitimierender Faktor im Produzieren und umkämpftes Gut, aber auch die neuerdings vieldiskutierte Frage der Organisation einer solchen kreativen Tätigkeit und die unterschiedlich explizit geführte (politische) Debatte um ihre gerechte Entlohnung und die Bezahlung digitaler Artefakte. So stellt die vermeintlich kostenfreie Produktion und Präsentation literarischer Texte in Sozialen Medien auch eine Herausforderung für den klassischen Buchmarkt und etablierte Strategien des Vertriebs und der Vermarktung dar. Sie zeitigt neue Effekte, wie etwa das generell für die Lektüre von Hypertext charakteristische Phänomen des 'Lesenschreibens', in dem die Positionen von Autor*innen und Leser*innen maximal einander angenähert werden. Das Komponieren von Musikstücken ist dank allgemein zugänglicher einfacher Programme leicht möglich, ihre Bezahlung ein Anachronismus und in der Zählung von Klickzahlen für Bruchteile von Cent-Anteilen am Gewinn auf ein (symbolisches) Minimum reduziert. Die allgegenwärtige Herstellung visueller Artefakte ist einerseits mit jedem handelsüblichen Smartphone buchstäblich kinderleicht und umsonst zu bewerkstelligen, andererseits wurde das erste digitale Bild-Kunstwerk nach einer undurchschaubaren Logik des Markts unlängst für die Rekordsumme von 69 Millionen Dollar versteigert.

Im Hinblick auf die Umbruchssituation einer zunehmend digitalen Arbeitswelt wurde schon vor nunmehr 15 Jahren gleichermaßen selbstironisch und programmatisch für eine neue Digitale Bohème mit dem Slogan Wir nennen es Arbeit geworben, doch die Utopie einer "selbstbestimmte[n] Lebensweise in einer informellen Gruppenstruktur, die immer auch eine Arbeits- und Produktionsweise ist und sich nur sehr bedingt mit einem Festanstellungsverhältnis verträgt", die Werbung für freies Arbeiten mit "Plattformen" und die Polemik gegen die "Firma" (Holm/Friebe 2006, 27 ff.) wirken heute angesichts einer immer größer werdenden "Working Class", die von ihrem Einkommen nicht leben kann, gleichermaßen leicht anachronistisch (Friedrichs 2021). Versteht man menschliche Arbeit insgesamt als "zentrale Form" eines Drangs, "etwas schaffen" und "Welt gestalten" zu wollen (Herzog 2019, 9), dann wird deutlich, dass 'Autorschaft' mehr benennt und impliziert als das Verfertigen von (künstlerischen) Werken.

Angesichts der neuen Verschränkung von Globalisierung und Digitalisierung stellt sich ohnehin die zunehmend drängende Frage, wer welche Arbeiten wo unter welchen Umständen wie ausführen und dafür von wem wie bezahlt werden soll – zumal, wenn kreative und künstlerische Tätigkeit nicht als (Lohn-)Arbeit im Sinn geteilter Rechte und Pflichten aufgefasst wird. Die vermeintliche Freiheit individueller Produktion in projektförmiger Arbeit steht seit längerem auch im Zeichen einer geforderten "Agilität": Beweglich, flexibel und auf Abruf agieren in einem entsprechend kontrollierten System auch zunehmend vermeintlich 'frei Schaffende' wie Autor*innen, Journalist*innen und Wissenschaftler*innen, die aber eben wegen ihrer störanfälligen kreativen Tätigkeit auch besonders gefährdet sind, vorzeitig erschöpft oder 'ausgebrannt' zu sein (Daum 2020, 46), erst recht unter den seit März 2020 pandemiebedingten Einschränkungen ihrer Arbeitsbedingungen.

Der Workshop entfaltete diese Bandbreite von Themen und Aspekten in der Online-Präsentation von Beiträgen, die das Produzieren digitaler Inhalte – oder 'Werke' – als (künstlerische) Arbeit reflektieren, wobei wie im Themenheft Urheberrecht, Copyright, Künstler der Neuen Rundschau (2015/4) die Akteur*innen selbst entscheiden, welche Seite ihres digitalen Produzierens sie vorführen und zur Diskussion stellen möchten.

Die Beiträge waren ab dem 15. Oktober 2021 für einen Monat auf dieser Seite verfügbar.