Organisiert von Melina Brüggemann, Florian Fuchs, Michael Gamper, Jutta Müller-Tamm, Cornelia Ortlieb und Susanne Strätling, Projekt Obscured, Unrecognized, Forgotten. Negative Circulation in Literature (2024-), Research Area 4: "Literary Currencies"
Was auf dem Buchmarkt – und in der Folge in Wohnzimmern, Seminarräumen und Bibliotheken – zirkuliert, was in Buchläden und auf Messen verkauft, in Salons und Literaturhäusern verhandelt, in Verkaufsstatistiken erfasst oder gar für Literaturpreise nominiert wurde und wird, das hat nach einer langen Reihe von Prüfungen das Gütesiegel der Imprimatur erhalten: Es durfte verlegt und gedruckt werden.
Was aber macht diese Prüfungen aus? Wie laufen sie ab? Was wird geprüft? Nach welchen Kriterien wird geprüft? Wer darf prüfen? Was streicht der Lektor an? Was die Verlagsgutachterin? Was der Zensor? Inwieweit verändert sich der Inhalt im Lauf dieser Prüfungen? Und was passiert schließlich mit den Texten, die aussortiert werden, die die Prüfung nicht bestehen und die Druckfreigabe nicht erhalten?
Die Tagung wendet sich den Mechanismen zu, die seit dem 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart für die Leser:innen grundsätzlich unsichtbar geblieben sind, weil sie vor der Schwelle der Drucklegung stattfanden. Sie untersucht die Institutionen und Praktiken, in und mit denen Texte auf ihre Veröffentlichung hin bewertet und entweder weiterprozessiert oder aber aus der literarischen Wertschöpfungskette ausgeschieden oder gar nie in sie hineingenommen wurden. Gefragt wird, welche Bedingungen und Faktoren Meinungsbildung und Entscheidungsfindung bestimmen. Dabei kommen ganz unterschiedliche Akteur:innen und Strukturen des literarischen Gatekeeping in den Blick: von Kompilator:innen, Redakteur:innen und Verleger:innen über literarische Influencer:innen und Literaturagent:innen bis hin zu religiösen und politischen, staatlichen und nicht-staatlichen Zensurbehörden. Es werden aber auch die unterschiedlichen Logiken des Selektierens beleuchtet, in denen das ökonomische Kalkül der Verkaufbarkeit mit anderen Wertmaßstäben austariert werden muss.
Zentrales Erkenntnisinteresse der Tagung ist es, durch eine Untersuchung der vielfältigen Begutachtungs- und Gatekeeping-Prozesse im Buchmarkt seit der Moderne jene Segmente des Literaturmarkts in den Fokus der Aufmerksamkeit zu rücken, welche in den diversen Selektionsstufen aussortiert werden und deshalb jenseits des öffentlichen Lesehorizonts und letztlich im Status einer bloß potentiellen Literatur verbleiben.
Im Rahmen der Tagung ist auch ein Panel mit Vertreter:innen von Verlagshäusern und Literaturagenturen geplant, das die Logiken des literarischen Buchmarkts und die Praktiken des Textprüfens thematisiert.
Programme
Donnerstag, 26. Juni 202510:30-10:45 | Ankunft
10:45-11:15 | Jutta Müller-Tamm (Freie Universität Berlin): Begrüßung
11:15-13:00 | Moderation: Florian Fuchs
Bart Soethaert (Freie Universität Berlin): "Das richtige Buch zur richtigen Zeit in die richtigen Hände": Die Griechische Passion in der DDR (1957, 1966, 1968)
Paweł Zajas (Adam-Mickiewicz-Universität Poznań): Gatekeeping im Literaturbetrieb der DDR. Jutta Janke und die polnische Literatur
13:00-14:00 | Mittagspause
14:00-15:45 | Moderation: Jutta Müller-Tamm
Anne Peiter (Université La Réunion) (digital): Gatekeeping-Prozesse im zweihändigen Schreiben. Formen symbolischer Gewalt in Albert Nsengimanas und Hélène Cyrs Buch Ma mère m’a tué über den Genozid an den Tutsi Ruandas
Melina Brüggemann (Freie Universität Berlin): "Erben ohne Testament" – Mohamed Mbougar Sarrs La plus secrète mémoire des hommes und die Politiken des Literaturbetriebs
15:45-16:00 | Kaffeepause
16:00-16:50 | Moderation: Corrnelia Ortlieb
Yashar Mohagheghi (RWTH Aachen): Verlagsgeschäft als Kulturpolitik. Der Kulturverleger im frühen 20. Jahrhundert
16:50-17:30 | Pause
17:30-18:30 | Moderation: Melina Brüggemann
Magda Birkmann (Lettrétage), Benjamin Brückner (Ullstein Buchverlage) & Linus Giese (Autor und Buchhändler): Round Table: Gatekeeping im Literaturbetrieb
Freitag, 27. Juni 202509:30-11:15 | Moderation: Michael Gamper
Annika Gebhard (Freie Universität Berlin): Literaturverlage als sprachpolitische (Re)Akteure – Diskriminierende Sprache in Kinderbüchern am Beispiel Ottfried Preußlers
Nora Ramtke (Ruhr-Universität Bochum): Papierkorb-Geheimnisse: Zur Kommunikation über Ungedrucktes in Zeitschriften (um 1870)
11:15-11:30 | Kaffeepause
11:30-13:15 | Moderation: Cornelia Ortlieb
Thomas Kater (Universität Münster): Reife-Prüfungen? Warum Uwe Johnsons Erstling erst postum erscheinen konnte
Katharina Knorr (Universität Siegen): "Außer zwei Absagen keinerlei Echo bisher" – die literarische Arbeit von Josef Wilms
13:15-14:15 | Mittagspause
14:15-16:00 | Moderation: Susanne Strätling
Massimo Salgaro (Università di Verona): Alte und neue Gatekeeper im literarischen Feld
Patricia Gentner (Universität Wien): Das artifizielle Lektorat – eine praxeologische Analyse der Nutzung von Künstlicher Intelligenz zur Manuskriptbewertung
Time & Location
Jun 26, 2025 - Jun 27, 2025
Freie Universität Berlin
EXC 2020 "Temporal Communities"
Raum 00.05 & 00.07
Otto-von-Simson-Straße 15
14195 Berlin
Further Information
To attend, please register with Melina Brüggemann, melina.brueggemann@fu-berlin.de